Sehr geehrte Damen und Herren, und als Mitglied der VVN-Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten auch bewusst: Liebe Kameradinnen und Kameraden,
Ich finde es sehr schön, dass sie auch in diesem Jahr wieder so zahlreich gekommen sind um an dieser Gedenkveranstaltung teil zu nehmen! Das hat vor einigen Jahren auch schon mal ganz anders ausgesehen – zeigt aber eindrucksvoll, dass diese Veranstaltung vielen von uns immer noch, oder wieder, oder jetzt erstmals etwas zu sagen hat, etwas bedeutet.
Ich weiß nicht wie es Ihnen/Euch geht, wenn sie hier stehen - gerade die Opferbiographien gehört haben - vor ihnen die wuchtige Gedenkwand mit den Reliefs mit Häftlingen mit gebeugten Köpfen, Steine auf den Schultern und der Tod Geiseln schwingend über ihren Köpfen - und am Boden in Tafeln eingemeiselt die Namen von Opfern des Faschismus – Namen die man nicht kennt; andere Namen, die man schon mal gehört hat und Namen, deren Geschichte dahinter man sehr wohl kennt
Bei mir jedenfalls ist es immer eine Mischung aus
Beklemmung
Verehrung Gerade, wenn man Lebensläufe kennt, sie vorgetragen bekommt und darüber nachdenkt, was viele der Gefolterten, Misshandelten und Ermordeten für uns alle geleistet haben
Demut Wie klein doch vielfach die eigenen Probleme oder auch politischen Herausforderungen sind, die man im Alltag als den Nabel der Welt empfindet
Und im Hintergrund – zumindest bei mir - auch die Frage, ob man nicht Gefahr läuft ein sich entleerendes Ritual zu vollziehen, die Gefahr besteht, der Anwesenheit hier aus bloßem Pflichtgefühl
Als ich mir in den letzten Tagen bei der Vorbereitung auf diese Ansprache immer wieder mal Gedanken gemacht habe, was für mich denn letztendlich diese Gedenkveranstaltung bedeutet, sind mir immer wieder die Begriffe ERMUTIGUNG und ANSTOSS durch den Kopf gegangen.
Eine ERMUTIGUNG und ein ANSTOSS nachzudenken, denn Gedenkveranstaltung enthält ja schon das Word DENKEN
Nachzudenken wie wir jetzt fast 70 Jahre nach dem formellen Ende der Nazi-Diktatur das Erinnern zeitgemäß gestalten können, wie wir mit Geschichte umgehen, was noch alles historisch aufzuarbeiten ist.
Da fällt mir die Aktion Stolpersteine ein. Gerade in Augsburg ins Laufen gekommen, als eine Form an konkreten Stellen auf das Leben von Opfern des Faschismus und auch deren Botschaften aufmerksam zu machen. Ich bin sehr gespannt wie es weiter geht, und wie diese Initiative zum Erfolg geführt werden kann, und welche Auswirkungen sie auf die Stadtgesellschaft in Augsburg hat.
Beim Thema „Aufarbeiten“ fällt mir die in den vergangen Jahren erfreulicher Weise wieder belebte oder in dieser Intensität vielleicht sogar erstmals belebte Auseinandersetzung mit den NS-„Euthanasie“-Verbrechen ein. Das ist auch ein Aufruf sich mehr zu beschäftigen mit dem was z.B. in der sog. „Heil- und Pflegeanstalt“ Kaufbeuren mit Zweiganstalt Irsee passiert ist, und was Robert Domes in seinem Buch „Nebel im August“ über die Geschichte von Ernst Lossa so beklemmend realistisch und drastisch und doch einfühlsam niedergeschrieben hat.
Es geht bei diesen Themen wie ich meine auch immer darum ihnen sichtbaren Ort in der Geschichte und dem Gedächtnis der Gesellschaft zu schaffen und zu bewahren
Liebe Anwesende, liebe Freunde, diese Zeit hier auf der Gedenkfeier kann aber auch eine ERMUTIGUNG und ein ANSTOSS sein um zu handeln; zu handeln, damit Terror wie ihn die Nazis ausgeübt haben und Faschismus sich nicht wieder breit machen.
Dieses Gedenken hier ist aber auch ERMUTIGUNG und ANSTOSS zu handeln bei der Bekämpfung faschistischer Gewalt. - Die Spitze eines Eisbergs sind die Morde des NSU – des Nationalsozialistische Untergrund. Und tun wir ja nicht so, als wären das nur die Taten von drei Tätern. Ohne Unterstützung und Deckung aus dem Lager und Umfeld rechter Organisationen wäre eine solch barbarische Mordserie, auch in einer solchen zeitlichen Dauer, nicht möglich gewesen. Und auch der geistige Nährboden hat viel damit zu tun, dass diese Taten möglich waren. Es gilt deshalb auch an dieser Stelle: Nur wer sich mit rechter Ideologie und Rechtspopulismus beschäftigt, die Hintergründe und Ziele versteht, wird sie auf Dauer richtig bekämpfen können.
Zu den NSU-Morden gab es Untersuchungsausschüsse im Bundestag und u.a. im Bayerischen Landtag: Und es wurde – und zwar über Parteigrenzen hinweg – klar festgestellt, dass es ein „Staatsversagen“ gab. Der Verfassungsschutz von Bund und Ländern hat z.B. eifersüchtig darauf geschaut, dass Informationen NICHT zu den anderen Institutionen gelangen und man hat sich nicht informiert, wer als Informant arbeitet und bezahlt wird. Im Endeffekt wurden viele Rechtsextremisten vom Staat bezahlt; und so rechtsextreme Organisationen auch noch unterstützt. Auch weite Bereiche der Politik haben versagt. Und es gab und gibt auch „institutionellen Rassismus“. Die Bezeichnungen „Soko Bosporus“ und „Döner-Morde sind Indizien dafür; und es kamen auch nur kurz Gedanken an einen rechtsradikalen Hintergrund auf, die dann auch nicht intensiv weiter verfolgt wurden. Viel bleibt für uns alle zu tun: Wir dürfen und können nicht nur auf das Strafurteil in München warten. Allein der Untersuchungsausschuss des Bundestags hat zig Punkte aufgelistet, die man verändern muss. Diese Änderungen muss man jetzt auch umsetzen. Hier dürfen wir alle nicht locker lassen; und das sage ich auch wenn ich selbst Mitglied eines Parlaments bin: Die Umsetzung ist Aufgabe von Parlament und Regierungen; aber man kann und darf das ziehen von Konsequenzen nicht allein Parlament und Regierung überlassen. Wir alle müssen uns einmischen, auf Änderungen drängen und auch kontrollieren, ob sie angegangen werden.
Zusammengefasst: Ich glaube diese Gedenkveranstaltung kann uns in diesem Sinne auch als DENKVERANSTALTUNG aufgefasst, viel geben, jedes Jahr, immer wieder, immer wieder mit neuen Ansätzen und Facetten – zu den gleichen Themen:
Gedenken und Wachhalten der Erinnerung Gegen Faschismus Gegen Rassismus Für die Würde und Selbstbestimmung jeden einzelnen Menschen!
Ich bin überzeugt: Das ist auch im Sinne der Opfer des Faschismus, deren Namen hier in Stein eingemeiselt sind, um derer zu gedenken wir heute auch zusammen gekommen sind, und in deren Gedenken ich mich verneige!