Vor hundert Tagen wurde in Augsburg die Saison für die Große Koalition angepfiffen. Weil Fußball und Politik mehr gemeinsam haben als man denkt: elf sportliche Fragen an die neuen städtischen Referenten – Dr. Stefan Kiefer und Dirk Wurm
Ihr Anpfiff liegt hundert Tage zurück. In Fußballsaisonkategorien sind das gerade einmal die ersten Spiele, die die Große Koalition in Augsburg hinter sich hat. Aus der SPD bringen zwei Neue frischen Wind in die Mannschaft: Stefan Kiefer als dritter Bürgermeister sowie Sozialreferent und Dirk Wurm, selbst leidenschaftlicher Hobbyfußballer, als Ordnungs- und Sportreferent. Wir haben mit den zwei frischen Spielern des Teams „GroKO“ den Start in die Saison analysiert.
Kiefer:
Für mich ist die Zeit wie im Flug vergangen. Ich bin durch alle städtischen Ämter und durch viele Partnerunternehmen, die im Sozialbereich mit uns zusammenarbeiten, gesprintet. Im Team haben wir geräuschlos, sagen wir, weitestgehend geräuschlos gearbeitet.
Wurm:
Nach meiner Einschätzung sind wir gut gestartet. Das Wichtigste bei einer neuen Mannschaft ist, dass man sich sofort auf Augenhöhe begegnet. Das war der Fall. Gerade diejenigen, die schon letzte Saison als Referenten aktiv waren, loben – interessanterweise – immer wieder das konstruktive Klima.
Kiefer: Ich freue mich, dass es gelungen ist, das Sozialticket einzuführen. Darauf haben die Menschen lange gewartet. Seit dem 1. Juli können es einkommensschwache Bevölkerungskreise erwerben. Ebenso die Doppelpässe im Stadtrat funktionieren, vor allem auch die mit dem Bildungsreferenten. Das halte ich für ganz wichtig.
Wurm:
Im Bereich Sport- und Bürgerservice ist erfreulich, dass wir uns über alle Fraktionsgrenzen hinweg einig sind, nach der Großinvestition Curt- Frenzel-Stadion in dieser Ratsperiode stärker den Breitensport in den Fokus zu nehmen. Was Bürgerservice und Ordnung betrifft, wird bei allen Beteiligten inzwischen anerkannt, wie wichtig vorbeugende Maßnahmen sind – sei es in der Drogen- oder Konfliktprävention. Ein positives Zeichen ist auch, dass wir miteinander Schritt für Schritt die Sanierung des Stadtmarktes angehen werden.
Kiefer: Mir geht es darum, erfolgreiche Politik zu machen und möglichst viele mitzunehmen. Das fängt im eigenen Referat an und endet dann in den Fraktionen. Und da müssen wir zwei uns natürlich erst neu einarbeiten, weil wir vorher noch kein Referat geführt haben. Rückblickend gesehen würde ich vielleicht die eine oder andere offizielle Einladung sausen lassen, um gemeinsam mit dem Referat noch eine Runde mehr konzeptionell zu arbeiten. Das ist aber bisher nur eingeschränkt möglich gewesen, aufgrund der vielen Antrittstermine.
Wurm:
Ich sehe es ähnlich. Grobe Fehlpässe sind uns, glaube ich, noch keine passiert. Du kriegst so viele Bälle zugespielt - die musst du schlichtweg verwerten. Ich habe aber aktuell noch keine Zeit gehabt, wie früher Mittelfeldstratege Günter Netzer, den Kopf hoch zu nehmen und eine „Kreativpause“ einzulegen. Das wird aber in den kommenden Monaten geschehen. Konzeptionelles Arbeiten ist für eine positive Entwicklung unserer Heimatstadt ganz wichtig.
Kiefer:
Ja, meine Kinder (10, 12 und 14 Jahre) und meine Frau haben das Ganze schon mit großem Interesse verfolgt. Und sie mussten auch bald feststellen, dass der Papa jetzt öfter als vorher seine Abende im Büro verbringt. Aber insgesamt haben wir es geschafft, die stressige Wahlkampfzeit ohne bleibende Schäden hinter uns zu lassen. Gott sei Dank! Inzwischen läuft in unserer Familie in dem uns zur Verfügung stehenden Rahmen wieder geregelter Spielbetrieb.
Wurm:
Um ehrlich zu sein, meine Familie erlebt diese Zeit großteils von der Tribüne. Finde ich auch richtig. Ich habe zwei kleine Buben im Alter von zehn Monaten und zweieinhalb Jahren, die ich ab und an zu Sportterminen mitnehme, wenn es irgendwie geht. Dass ich soviel am Wochenende unterwegs bin, führt nicht zu Begeisterung, wird aber akzeptiert. Ich glaube, meine Frau ist auch froh, wenn im August der Termindruck nachlässt.
Kiefer:
Ich gestehe, ich nehme beim Fußball gewöhnlich eher die passive Rolle des Zuschauers ein. Vom Sofa aus schau ich mir das aber gerne an. Die Weltmeisterschaft beispielsweise habe ich ziemlich intensiv mitverfolgt. Selbst bin ich aber beim Kicken über das Niveau des Laien nie hinaus gekommen. Das heißt aber nicht, dass ich eine Couchkartoffel bin. Nein, eher ein Mann der langen Wege. Ich jogge, radele oder gehe zum Wandern. Aber Fußball war nicht meine Stärke.
Wurm: Fußball hatte für mich in meiner Jugend einen ganz hohen Stellenwert. Es war der Sport, den ich 15 Jahre lang drei Mal in der Woche betrieben habe. Ob erfolgreich oder nicht, das ist in der Jugend eigentlich vollkommen egal. Für mich stand im Vordergrund, dass man sich aufeinander verlassen kann, man gemeinsam gewinnt und verliert. Das sind wichtige Erfahrungen, die du in deinem späteren Leben gebrauchen kannst. Heute bin ich nur noch Fan von Borussia Dortmund und vom FCA. Beiden Teams wünsche ich eine tolle Bundesligasaison.
Kiefer: Besser, der FCA lässt mich nicht spielen, die haben talentiertere Kräfte. Aber im übertragenen Sinne denke ich schon, ein kreativer Mittelfeldspieler zu sein. Wenn Sie wollen, sogar eine Art Spielmacher. Ich sehe mich da überhaupt nicht in der Defensive, sondern schon auch aufbauen und vorgehen.
Wurm: Also, um ehrlich zu sein, als ich selbst Fußball gespielt habe, war ich entweder defensiver Mittelfeldspieler oder Verteidiger. Ich würde mich angesichts dieser Erfahrung in dieser Position sehen, da es ja so ist, dass die Defensive nicht nur Angriffe abfängt, sondern sie eröffnet auch das Spiel. Und ohne Spieleröffnung kriegt ein Stürmer nie im Leben einen Ball.
Kiefer: (lacht)
Wurm: Da schaust jetzt, gell?
Kiefer:
Weder noch. Nach der Antwort von Dirk Wurm tue ich mich jetzt schwer. Ich sehe mich im Grunde schon im Zentrum, im Aufbauspiel. Im Zweifel kann ich aber auch mal dazwischen grätschen. Letztendlich bin ich eher ein Konstruktiver. Ich will hier schon etwas erreichen mit dem Stadtrat, auch Ziele vorgeben und untermauern.
Wurm:
Im Stadtrat spiele ich eher vorne links, als hinten Mitte. Also hinten Mitte, die Innenverteidigung im Stadtrat, das ist nicht so meins. Da versuche ich schon eher, übertragen auf die Kommunalpolitik, die Ideen zu kreieren und so Überzeugungsarbeit zu leisten, dass wir diese auch umsetzen können. Die entspringen meiner politischen Sozialisation auf der einen Seite und den Notwendigkeiten in der Stadt Augsburg auf der anderen.
Kiefer:
Die SPD ist nie satt. Sie wird immer nach besseren Lösungen suchen, sie wird immer offensiv nach vorne spielen. Sie hat ein Gespür für die Bedürfnisse der kleinen Leute, aber auch derer, die nach oben drängen, die etwas erreichen wollen. Das ist eigentlich die Antenne, das Ohr und das Herz der SPD. Wir sind teamfähig und solidarisch. Da machen wir auch mit anderen Parteien, wenn es sein muss, das Spiel. Da sind wir auch fair.
Wurm:
Man könnte sich fast dazu versteigern, zu behaupten, die SPD sei eine Partei, die einen ähnlichen Anspruch wie Jogi Löw hat. Der Bundestrainer hätte sich vor zehn Jahren auch denken können, ich schau mir mal an, was ich so alles im Bestand habe und versuche ihn irgendwie so engmaschig zusammen zu flicken, damit ich vielleicht
nicht besonders attraktiv, aber maximal erfolgreich bin. Er ist genau den umgekehrten Weg gegangen. Löw hat gesagt, ich will Erfolg und Attraktivität miteinander verbinden. Er ging neue Wege und ließ sich auch von bitteren Niederlagen nie entmutigen. Die SPD funktioniert ganz ähnlich. Auch sie will die Dinge zum Positiven verändern und auf gesellschaftliche Bedürfnisse nicht immer nur reagieren, sondern sie frühzeitig erkennen und die Weichen richtig stellen. Dafür muss die SPD aber auch zwangsläufig in Kauf nehmen, dass es manchmal länger dauert, bis ihre Ideen anerkannt werden.
Kiefer:
Wichtig ist erst einmal eine ordentliche Arbeitsgrundlage. Wir müssen mit guten Konzepten sauber arbeiten. Verlässlichkeit ist dazu die Voraussetzung. Das wurde in der Vergangenheit oft bemängelt. Auf Tischvorlagen, Unausgereiftes oder auf Tagesthemen zu reagieren, das alles sollte in der Kommunalpolitik möglichst nicht sein. Man sollte auch wissen, wer hinter und vor einem, links und rechts von einem steht, weil wir selten ein politisches Thema haben, das sich allein in meinem Referatsbereich abspielt. Da kommt es maßgeblich darauf an, die anderen Spieler einzubinden.
Wurm:
Nach meinem Verständnis gibt es gar keine Große Koalition im engen Sinne. Wir haben eigentlich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ein fraktions- und parteiübergreifendes Bündnis im Stadtrat. Man muss sich vor Augen halten, zwischen 95 und vielleicht 97 Prozent der Beschlüsse werden einstimmig gefasst. Ich verstehe unsere Rolle als Referenten darin, die verschiedenen Ideen, die aus der Verwaltung oder aus der Politik kommen, nicht als einseitiges Projekt einer Partei zu sehen, sondern als abgestimmtes Vorgehen. Das wird unsere Stadt voranbringen.
Kiefer:
Das eine sind Chancen, dass jedes Kind die Chance hat auf Schule, und jeder Jugendliche auf dem Arbeitsmarkt. Das zweite ist für mich, dass wir dringend mehr bezahlbaren Wohnraum brauchen. Dafür drehe ich an ganz, ganz vielen Stellschrauben, Bauen, bei Bau und Planung beraten und unterstützen, das betrifft ganz viele in dieser Stadt.
Wurm:
Stand heute, Projekt Nummer eins: Wir müssen es schaffen, Missverständnisse zwischen den verschiedenen Kulturen bereits im Vorschulalter erst gar nicht aufkommen zu lassen. Das gelingt nur im Zusammenspiel aller politischen Kräfte und auch Referats übergreifend. Da spielen Sport, Gesundheit, Prävention, Integration
eine ganz wichtige Rolle. Das zweite Projekt: Die städtische Verwaltung muss sich künftig so aufstellten – und zwar vor Ort und auch medial, sprich im Internet – dass die Bewohner das Gefühl haben, die Stadt Augsburg und die Verwaltung sind ihr Partner, der sie unterstützt und sie manchmal darüber aufklärt, was geht und was nicht. Hier sind wir bereits auf einem guten Weg.
Wurm (sagt spontan): Ich sage, er kommt unter die ersten Zehn.
Kiefer(denkt länger nach):
Das klingt jetzt zwar wie nachgesagt. Aber das glaube ich auch.
(Das Interview führte Michael Egger, Fraktions-Geschäftsführer der SPD)